Traditions- und Redaktionsprozesse im Buch Numeri und ihr Zusammenhang mit der Entstehung des Pentateuchs
Das alttestamentliche Buch Numeri (4. Buch Mose) ist in einem langen und facettenreichen Redaktionsprozess entstanden, der von der Aufnahme älterer Erzähltraditionen bis hin zu abschließenden Bearbeitungen reicht, die die mosaische Tora als normierende Größe bereits vor Augen haben. Diesen Redaktionsprozess für die Pentateuchforschung und die Formierung des frühen Judentums im 5.-3. Jh. v.Chr. fruchtbar zu machen, ist Gegenstand des Forschungsprojektes. Es untersucht neben den literarhistorischen Prozessen auch sozialhistorische Hintergründe, die durch die thematischen Schlagworte Führungskonflikte, Prophetie, (Hohe-) Priestertum, Theokratie und Demokratie gefasst werden können.
Der Pentateuch ist in komplexen literarischen Traditions- und Redaktionsprozessen entstanden. Die diesbezügliche Forschungslage ist ausgesprochen disparat. Umstritten sind der Umfang eines nichtpriesterlichen
Erzählfadens und dessen Datierung, Art und Umfang der priesterlichen Überlieferung sowie die Redaktionsprozesse, die zur Anerkennung des Pentateuchs als Tora und zur Profilierung des Kanonteils Prophetie geführt haben. Das Buch Numeri erweist sich in der jüngsten Diskussion als Brennpunkt, da die dort zusammengebundenen Texte (a) die erzählerische Brücke zwischen Sinai und Land bilden, (b) sich in ihrer literarischen Gestalt gegenüber den Texten in Gen-Lev und Dtn-Jos abheben, (c) die sozial- und institutionsgeschichtlichen Diskurse der nachexilischen Gemeinde (politische Führung, Priesteramt, Prophetie u.a.m.) spiegeln. Fragen der Endredaktion und literarischen Komposition, der literatursoziologischen Verortung und die Verbindung mit der nachexilischen Geschichte des sich formierenden Judentums sind nicht ausreichend geklärt. Von einer umfassenden Untersuchung des Buches sind neue Impulse (a) für das Verständnis der vorpriesterlichen Überlieferung und seiner Einbindung in den Pentateuch, (b) der Konsistenz des priesterlichen Erzählfadens und (c) der Prozesse, die zur Konstitution der Tora in frühnachexilischer Zeit geführt haben, zu erwarten. Das Potential der Erzählstoffe des in der Forschung lange vernachlässigten Numeribuches ist besonders hoch in Bezug auf:
1. das hierarchisch organisierte Priestertum. Die priesterliche Ordnung ist konstitutiv für die Herausbildung der hierokratischen Herrschaftsorganisation des Frühjudentums in hellenistischer Zeit.
2. die charismatischen und demokratischen Züge der nachexilischen Gemeindeorganisation. Das Numeribuch spiegelt den Diskurs zwischen Herrschaftsansprüchen im Frühjudentum im 5./4. Jh.
3. das Verhältnis von Halacha und Haggada, das in keinem anderen Teil der Tora so ausgeprägt ist und die spätere Entwicklung in Qumran und der frührabbinischen Literatur vorbereitet.
4. die separative Identitätskonstruktion des frühnachexilischen Judentums durch intolerante Aspekte, Abgrenzung nach Außen, Xenophobie und ein problematisches Verhältnis zur staatlichen Gewalt.
5. eine bisher wenig beachtete Haltung insbesondere in der Priesterschrift, zukunftsbezogene gesellschaftliche Ideale und Werte retrospektiv und narrativ zu verankern.
Antragsteller
Ruhr-Universität Bochum: Prof. Dr. Christian Frevel (Katholisch-Theologische Fakultät);
Technische Universität Dortmund: Prof. Dr. Thomas Pola (Evangelische Theologie);
Universität Duisburg-Essen: Prof. Dr. Aaron Schart (Institut für Evangelische Theologie)
Förderlinie: Projektförderung
Fördersumme: 149.389 Euro
Laufzeit: 01.01.2011 – 31.12.2012
Ansprechpartner
Prof. Dr. Christian Frevel
Ruhr-Universität Bochum
Katholisch-Theologische Fakultät
Universitätsstr. 150
44780 Bochum
Telefon: 0234-3222611
christian.frevel (at) ruhr-uni-bochum(dot)de