SFB 1698 'Compassiones'
In der gegenwärtigen Welt sehen wir uns mit einer exponentiellen Vervielfachung von Anlässen kon-frontiert, die uns Mitleid empfinden, beobachten oder empfangen lassen. Mitleid ist grundlegend für das soziale Miteinander: Durch seinen Ereignischarakter stiftet es Beziehungen, motiviert Hilfe und strukturiert langfristig Ungleichheitsverhältnisse und ihre institutionelle Bearbeitung. Allerdings ist auch ein Unbehagen an Mitleid als hierarchischer Dynamik erkennbar, das in dis-kursive Vermeidungsbewegungen und Begriffsverschiebungen zugunsten benachbarter Phänomene wie Empathie oder Solidarität mündet. Schon über sein gesellschaftliches, kulturelles und ästhetisches Diagnosepotenzial war und bleibt Mitleid zentral, und dies zeigt sich a) in den Semantiken, die gegen-wärtig oder historisch Denken, Ausdruck, Wahrnehmung und Verstehen von Mitleid konstituieren, und b) in Praktiken, in denen Mitleid zutage tritt und emeinschaftsstiftend erlebbar wird. Das frappierende Spannungsverhältnis von hoher Präsenz und Unbehagen am Mitleid versteht der SFB als eine Herausforderung, der mit einer multidisziplinären geistes- und sozialwissenschaftlichen Initiative zu begegnen ist. Um Asymmetrie, Ambiguität, Ereignishaftigkeit und Reziprozität von Mit-leidsrelationen synchron und diachron in 14 beteiligten Disziplinen zu erfassen, verwendet der SFB den analytisch offenen Begriff 'Compassiones‘. Er trägt der Ausgangsbeobachtung der epochalen und kulturellen Heterogenität von Semantiken und Praktiken des Mitleids und von dessen sprachlichen Bezeichnungen Rechnung. In 17 Teilprojekten (TP) untersucht der SFB – indem er Umbrüche am Beginn der Frühen Neuzeit zum Ausgangspunkt nimmt – transepochal Mitleidssemantiken und -praktiken und rekonstruiert deren Verbindungen und Verschränkungen. Fallstudien zu literarischen Traditionen im frühneuzeitlichen Lateinamerika, frühmodernen Korea und modernen Ägypten sowie die anthropologisch orientierte Theater- und Performanceforschung erlauben transkulturelle Perspek-tiven, die in einer 2. Förderphase ausdifferenziert werden sollen; eine 3. Förderphase zielt auf die Erforschung der Vermittlung und Normierung von Mitleidsrelationen in Bildungsprozessen. Die Architektur des SFB basiert darauf, dass 16 TP in vier Relationsfeldern (RF) organisiert und zugleich Teil des übergeordneten Forums „Metanarrative und Methoden“ sind. Jedes RF bearbeitet eine Relationalität von Kategorien, die sich für die Erforschung von Mitleid als zentral und spezifisch aufeinander bezogen erweisen: Nähe – Distanz (RF A), Verkörperung – Entkörperung (RF B), Materi-alität – Expressivität (RF C) und Gemeinschaftlichkeit – Institutionalisierung (RF D). Die Transversale ‚Körper, Gender und (De-)Marginalisierung‘ verläuft quer zu den RF, sie wird in allen TP untersucht. In die von TP Ö17 – das medienwissenschaftlich „Compassiones in Öffentlichkeiten“ erforscht – or-ganisierte Öffentlichkeitsarbeit werden u.a. Labore aus den RF eingebracht.
Antragstellerin
Prof. Dr. Susanne A. Friede, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Philologie
Förderlinie: Sprint
Gesamtfördersumme: 50.000,00 €
Ansprechpartnerin
Prof. Dr. Susanne A. Friede
Ruhr-Universität Bochum
Fakultät für Philologie
Universitätsstr. 150
44780 Bochum
Email :susanne.friede@rub.de